Streaming von Gottesdiensten

 

Mit Ausbruch der Coronakrise kam mit dem „Lock down“ auch schnell die Order, dass Gottesdienste in Kirchen für längere Zeit nicht mehr öffentlich stattfinden dürften.

Nachdem in der Nachbarstadt Bühl der Pfarrer als schnelle Antwort darauf persönliche Messfeiern aus seinem Wohnzimmer per Handy als Livestream auf der eigentlich sonst eher in Gamer-Kreisen bekannten Plattform “Twitch“ übertrug, überlegte ich als Kirchenmusiker zusammen mit den beiden Priestern unserer 7 Gemeinden der SE Baden-Baden, wie wir etwas ähnliches auf den Weg bringen könnten.

Die von meinem Bruder und mir ausgegebene Devise lautete: Wir wollen es aber deutlich professioneller aufziehen, damit die zuschauende Gemeinde zu Hause an ihren PC´s auch Freude dran hat. Das bedeutete aber auch einen wesentlich aufwändigeren Einsatz von Material auf Bild- und Tonseite.

Der Ton war für mich als altem RdT-Mitglied recht schnell klar: Die Mikrofone der in der Kirche installierten Lautsprecheranlage galt es anzuzapfen, was per DI-Box am Kopfhörerausgang des Mischverstärkers problemlos funktionierte. Weitere Tonsignale waren nun noch die Orgeln (die sonntags benutze Pfeifenorgel auf der Empore, das Sakralkeyboard für die Werktage in Altarnähe), der Kantor, ein Mikro für Meditationsanteile vor dem Altar. Bei Bedarf kamen auch weitere Instrumente zum Einsatz, die auch mikrofoniert werden mussten.

Bei den Kameras gab es auch schnell die Erkenntnis, dass 4 Kameras für eine abwechslungsreiche Bildgestaltung gebraucht würden. Es waren auch Möglichkeiten zur Zuspielung von Bildern, Texten und sogar kleinen Filmen vorzusehen.

Die Hauptkamera stand auf einem Podest im Mittelgang auf Achse des Zelebrationsaltares. Von dieser Position ergab sich auch ein guter Blick auf den Ambo, wo Lesungen und Predigt gehalten werden.

Eine seitliche Totale von links auf Altar und Ambo in einer Achse wurde durch eine fest eingerichtete Stativkamera abgebildet.

Auf der rechten Seite brachte eine weitere Kamera ein alternative Perspektive der Ambo-Position, aber auch die Möglichkeit, andere interessante Motive aus dem Kirchenraum darzustellen.

Auf der Orgelempore befand sich eine weitere unbemannte Kamera, die entweder am Sonntag auf den Organisten und zum Teil auf die musizierenden Instrumentalisten ausgerichtet war, werktags bot sie uns eine schöne Übersichtstotale von oben.

Ein weiteres Problem war die Anzeige der Lied- bzw. Gebetsnummern aus dem Gesangbuch, schließlich sollten ja die Zuschauer daheim die Möglichkeit des Mitbetens und Mitsingens haben. Dazu verwendeten wir ein vorhandenes zusätzliches Anzeige-Tableau des funkgesteuerten Liedanzeigers der Kirche. Eine Minikamera nahm in einer etwas abgedunkelten Ecke die Zahlen ab und deren Signal wurde dem Endbild fest eingefügt.

 

Nun müssen ja schließlich diese ganzen Quellen zu einem Sendesignal zusammengemischt werden. Hierzu stand uns ein Videomischer Atem von Black Magic mit insgesamt 8 Eingängen zur Verfügung. Der hat auch noch zwei Bildspeicher integriert, sodass Standbilder im Format 1920x1080 px problemlos eingeblendet werden konnten, was mit zunehmender Dauer des Projektes immer beliebter wurde.

Letztendlich muss das fertige Signal noch das Internet – in diesem Falle via Youtube – erreichen; dazu brauchte es einen leistungsfähigen Internetanschluss, der im nahe gelegenen Pfarrbüro zur Verfügung stand. Ein strapazierfähiges LAN-Kabel in Freileitungsbauweise sorgte für die Anbindung unseres Internet-Computers in der Kirche an die große weite Welt. Als Streamings-Software stand uns „OBS-Studio“ zur Verfügung, die sich als äußerst zweckmäßig erwies. Darin lässt sich auch die unbedingt notwendige Verzögerung des Tones gegenüber dem Bildsignal (ca. 200 ms) einstellen, da sonst der Zuschauer durch den Versatz von Bild zu Ton her irritiert wird.

 

Nun wollen wir nicht verschweigen, dass dieser massive Aufwand auch Personal braucht, das in der Zusammenarbeit kreative Ergebnisse hervorbringen kann: Mein Bruder Martin betätigte sich als Regisseur und Bildmixer, koordinierte die Bildausschnitte so, dass diese beim Schnitt auch zusammenpassten. Hierzu ist natürlich ein Kommunikationsnetzwerk nötig, dass die Abstimmung mit den Kameraleuten funktionieren kann. Der Pfarrer freut sich auch über das Rotlicht an den beiden wichtigsten Kameras, das ihm signalisiert, welche Kamera gerade auf Sendung ist. Mir fiel die Aufgabe der Bedienung der rechten Kamera sowie die Tonaussteuerung mittels Tablet zu, eine Arbeit, welche ich neben dem werktäglichen Orgelspielen und Singen noch zusätzlich erledigen musste. Die Hauptkamera in der Mitte wurde von einem jungen Mann bedient, der im der Pfarrei sein freiwilliges Jahr leistete, der sich als Naturtalent im Umgang mit der Kamera zeigte! Obwohl er mit der Videotechnik noch nie zu tun gehabt hatte, war er nach kurzer Einweisung sehr kreativ im Umgang mit der Kamera.

Die ersten Probetage verliefen sehr vielversprechend, sodass wir uns an die Öffentlichkeit wagen konnten. Die Resonanz auf die Übertragungen war so gut, dass die Gemeindeleitung sich entschloss, jeden Tag einen Gottesdienst zu übertragen, solange die Kirche wegen Corona nicht uneingeschränkt öffentlich zugänglich war. Das bedeutete für uns 7 Tage die Woche Einsatz.

Da bekanntlich der Appetit mit dem Essen kommt, entwickelten sich auch bei uns gewisse Begehrlichkeiten, was die technische Ausrüstung betraf. So erhielten wir die Möglichkeit, eine gebrauchte Kamera zu einem günstigen Preis zu erwerben. Diese fand ihren Einsatz im Chorraum der Kirche, wo immer öfter kleine Chorgruppen oder Instrumentalensembles die Gottesdienste bereicherten und die wir damit gut abbilden konnten..

Irgendwann fand dann auch noch eine fernsteuerbare (PTZ)-Kamera den Weg zu uns, die eine Abspeicherung von verschiedenen Kamerablickwinkeln ermöglicht. So waren auch Einstellungen von den inzwischen wieder nach Abstandsregeln anwesenden Gemeindemitgliedern schnell abrufbar.

Um die Schönheiten unserer Kirche unabhängig von unseren Kamerapositionen besser zeigen zu können, fertigte ich von vorhandenen, hochqualitativen Fotos verschiedene Filme an. Die mittels meiner Diashow-Software „Aquasoft“ erstellten virtuelle Zoom- und Kamerafahrten ermöglichten atemberaubende Einblicke in die Pracht des Jugendstilbaus.

Nicht verschweigen will ich aber die Schwierigkeiten, welche sich ab und an unvorhergesehen auftaten. Durch Überlastungen im Internet vor allem an manchen Sonntagen in der Hochphase der Pandemie gab es mal Verbindungsabbrüche oder der Stream konnte nicht gestartet werden, auch war die angestrebte Qualität nicht immer erreichbar. Aber da alle Übertragungen live rausgingen, war das halt auch ein gewisses Risiko, das wir eingehen mussten.

An einem Sonntag Abend wurde kurzfristig ein Konzert auf unserem Kanal mit dem Baden-Badener Sänger Marc Marshall und seinem Pianisten René Krömer live gesendet, was für uns auch eine willkommene Abwechslung darstellte. Das Repertoire umfasste dem Kirchenraum angemessen geistliche Lieder aus Klassik und Moderne.

Ende Juli 2020 ist das Streaming-Projekt nun ausgelaufen, inzwischen ist nun wieder eingeschränkter Gottesdienstbesuch möglich. Es war für uns eine interessante und lehrreiche Zeit, welche uns ungeahnte Kreativität entwickeln ließ. Aus seelsorgerischer Sicht war es ein beachtlicher Erfolg, die Einschaltquoten und Rückmeldungen haben gezeigt, dass wir vielen Menschen einen virtuellen Gottesdienstbesuch ermöglicht haben, der so das Leben der christlichen Gemeinden der Seelsorgeeinheit Baden-Baden und darüber hinaus bereichert hat.

 

Werner Grabinger